Auf unserem Heimweg vom österreichischen Mühlviertel ins niedersächsische Diepholz machen wir einen Zwischenstopp im südlichen Rhein-Main-Gebiet. Hier, bei Darmstadt, liegt ein Hof mit langer Tradition.
Einwohner:innen: rund 26.000
Sprache: Deutsch, Hessisch Typische
Namen: Annika, Jonas, Lara, Stefan
LEBENSBAUM bekommt von hier: Brennnessel
Schon von Weitem können wir den Schornstein sehen, der hoch über die Dächer ragt. Er gehört zu einer ehemaligen Schnapsbrennerei, die gut 100 Jahre genutzt wurde und für den Hof ein wesentlicher Bestandteil der Kreislaufwirtschaft war. Mittlerweile ist sie stillgelegt, dafür ist auf dem Hof umso mehr los: Als wir neben dem schönen Ziegelgebäude auf das Grundstück
fahren, sehen wir schon die ersten Pferde. Eine Pferdepension gibt es hier, Koppeln und 225 Hektar Acker. Hier wachsen unter anderem Kürbisse, Melisse und Pfefferminze. Und die Lieblingskultur unseres Anbaupartners: die Brennnessel. Kein Wunder also, dass wir ihn ihn genau dort finden. „Herzlich willkommen!“, ruft Andreas und überquert das Feld. „Schön, dass ihr da seid!“
Die Brennnessel, vielerorts unbeliebtes Unkraut, wird hier sehr geschätzt. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt uns Andreas. Doch schon seine Großmutter habe ihm erklärt, wie nützlich die Pflanze sei. „Ich habe immer nur die roten Flecken auf meiner Haut gesehen“, sagt er lachend. Mittlerweile sei er fasziniert von dem Kraut. Als er vor fünf Jahren den Hof von seinen Eltern übernommen, auf Bio umgestellt und begonnen habe, seine Felder nach Naturland-Richtlinien zu bewirtschaften, habe er nicht lange überlegen müssen, was er anbauen wolle. Die Wahl sei schnell auf die Brennnessel gefallen – „schon allein wegen der Kindheitserinnerungen“. Aber auch, weil die Brennnessel eine angesehene Nutzpflanze sei: In vielen Küchen werde sie als Salat, Suppe oder Beilage geschätzt. Und auch als Teekraut machten sich die getrockneten Blätter hervorragend.
„Die letzten Brennnesseln wurden im Herbst gesetzt“, berichtet uns Andreas. Die Jungpflanzen seien bereits vorgezogen eingepflanzt worden, damit sie schneller gehackt werden könnten. „Wir hatten dieses Jahr viele Pflanzenausfälle“, sagt der Landwirt. Trotz neuer Bewässerungssysteme sei er kaum gegen Hitze und Trockenheit angekommen. „Viele Pflanzen sind nicht richtig angewachsen. Da reichte schon ein Windstoß, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.“ Der Herbst habe daher im Zeichen der Korrekturen gestanden. Neben der Brennnessel seien auch Pfefferminze und Melisse neu gesetzt worden.
„Jetzt, im Winter, sterben die Pflanzenteile oberhalb der Erde so langsam ab. Aber im Boden tut sich noch einiges“, erzählt unser Anbaupartner. „Die Wurzeln der Brennnesseln bilden zum Beispiel noch Seitentriebe aus, bevor die Pflanzen dann endgültig in die Winterruhe gehen. Bei den älteren Pflanzen können wir noch die Verjüngung anregen.“ Das heißt, der Landwirt geht mit einer gröberen Maschine zwischen die Reihen, um einige Wurzeln kaputt zu machen, damit diese nicht verholzen, sondern neu austreiben. Gleichzeitig bringt er damit ein wenig Luft in den Boden.
Im Frühjahr dann werden die Brennnesseln auch oberirdisch wieder wachsen und an den jetzt trockenen Stängeln die typischen gezackten Blätter sitzen. Was für eine schöne Aussicht! Und noch dazu in dieser naturnahen Umgebung: Hinter den Feldern liegen die Hügel des Odenwaldes und noch dahinter erstreckt sich das größte hessische Naturschutzgebiet. Dem wollen wir unbedingt vor unserer Heimreise noch einen Besuch abstatten.